TATKRÄFTIG nennt sich jener Bereich des Newsletters, der sich mit Veränderungen und Innovationen in der Elementarpädagogik beschäftigt. Das Bild zeigt Kindergartenkinder vor einer großen sportlichen Herausforderung: Der Rolle vorwärts. Wir als Praxisteam befinden uns ebenso in Bewegung, um den Entwicklungen und neuen Aufgaben gerecht zu werden: Die frühe Kindheit wurde in den letzten Jahren von der Wissenschaft, Politik, Wirtschaft etc. regelrecht entdeckt – als Lebensphase, in der je nach Bildungsmöglichkeit wichtige Weichen für die Zukunft gestellt werden. Lesen Sie, wie wir „unsere Rolle vorwärts“ angehen….

 

Ein Praxisteam im Denk- und Veränderungsprozess

Wie bei dem kleinen Mädchen auf dem Foto braucht es für neue Bewegungen oftmals einen Impuls von außen: Wie gehe ich es am besten an? Ist jemand zur Unterstützung da? Kann ich dieser Person vertrauen? Dieser Austausch, das Miteinander, schlussendlich die eigene Bereitschaft zur Kraftanstrengung und zur Überwindung …all das ist nicht nur für körperliche Bewegung nötig, sondern auch für ein geistiges Fortbewegen. Im Praxisteam stellen wir uns in diesem Prozess u.a. die Frage: Was ist in der praktischen Ausbildung zeitgemäß, welche Inhalte und Ansätze gehören überdacht, gar aussortiert?

Erst kürzlich wieder bekam ich von einer BAfEP-Absolventin zu hören: „In der Schule mussten wir immer reflektieren! Total unnötig – seit ich im Kindergarten arbeite, habe ich das noch nie gemacht!“

Es ist nicht das erste und wahrscheinlich nicht das letzte Mal, dass ich in meiner Rolle als Praxislehrerin davon erfahre, dass in der Ausbildung an der BAfEP scheinbar Unbrauchbares oder Überflüssiges vermittelt wird. Wir als Praxisteam sind ständig darum bemüht, die praktische Ausbildung zu aktualisieren und die jungen Menschen bestmöglich auf die gegenwärtigen und zukünftigen beruflichen Anforderungen vorzubereiten. Deshalb sind wir offen für Rückmeldungen und Ideen zur Veränderung, die von Fachkräften der elementarpädagogischen Einrichtungen an uns herangetragen werden. Es ist dann unsere Aufgabe als Lehrende, abzuwägen, was für die Weiterentwicklung der praktischen, didaktischen und pädagogischen Ausbildung relevant ist. Verbindliche Kriterien sind für uns dabei der Lehrplan der BAfEP, das Tiroler Kinderbildungs- und Kinderbetreuungsgesetz, der seit 2009 gültige bundesländerübergreifende Bildungsrahmenplan inklusive dem Tiroler Anteil und aktuelle Entwicklungen wie z.B. die Grundschulreform.

 

Worüber sich im Hinblick auf die eingangs gemachte Bemerkung nicht streiten lässt: Kontinuierliche Reflexion der Bildungsarbeit sowie der eigenen Erzieherpersönlichkeit sind ebenso wie die immer wieder in Frage gestellte Beobachtungstätigkeit in pädagogischen Institutionen gesetzlich vorgeschrieben:

Die elementare Bildungseinrichtung hat unter Berücksichtigung des Bildungsrahmenplanes einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Das Gesetz setzt sich zum Ziel, unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und des Bildungsrahmenplanes hohe pädagogische Bildungsqualität sicherzustellen (vgl. Bundeskanzleramt, Tiroler Kinderbildungs- und Kinderbetreuungsgesetz 1.Abschnitt §3 und §5).

 

Die Reflexion des eigenen Handelns im Sinne lebenslangen Lernens und die Orientierung an bestimmten Prinzipien für die ko-konstruktive Gestaltung von Bildungsprozessen sind im Bildungsrahmenplan deutlich vorgegeben. Die eigene Bildungsarbeit entlang der Prinzipien zu gestalten, kann auf Grundlage der Beobachtung des Gruppengeschehens bzw. des einzelnen Kindes gelingen; Nur wenn ich viel über das einzelne Kind weiß und es in seinem Handeln genau wahrnehme, kenne ich seine Bedürfnisse, Interessen, Kompetenzen sowie sein Lernpotenzial und kann versuchen, meine Arbeit beispielsweise nach dem Prinzip der Individualisierung auszurichten (vgl. Bildungsrahmenplan 2009, S.3).

Das heißt: Ob Aufgaben wie Reflexion und Beobachtung vom pädagogischen Fachpersonal erfüllt werden, ist keine Frage des persönlichen Geschmacks – diese sind verpflichtend! Sehr wohl aber können sich die Methoden der Reflexion und Beobachtung unterscheiden, müssen erprobt und jene Instrumente gewählt werden, die sich am besten innerhalb der jeweils gegebenen Rahmenbedingungen anwenden lassen.

Demzufolge und aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Tiroler Einrichtungen sich in ihrer Bildungsarbeit verstärkt an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientieren (z.B. durch Lernwerkstätten oder gruppenübergreifendes offenes Arbeiten), haben wir als Praxisteam unser Praxiskonzept gründlich überdacht. Schon ab den ersten Klassen wollen wir Praxislehrerinnen und PädagogInnen die Schülerinnen und Schüler im Praxiskindergarten verstärkt auf die zahlreichen und vielfältigen Bildungsmomente im Alltag der Kindergartenkinder hinweisen. Der Lotusplan und die Planung von Kinderthemen aufgrund eines einfachen Beobachtungs- und Reflexionsrasters sind ab der zweiten Klasse Methoden, mit denen die Praktikantinnen und Praktikanten Erfahrungen sammeln sollen. Wir legen aufgrund von Rückmeldungen aus den Ausbildungsstätten besonderen Wert darauf, dass sich die ausgewählten Bögen und Raster als effizient und sinnstiftend bewähren, wohlwissend, dass die personellen und zeitlichen Ressourcen in den elementaren Institutionen teilweise wenig Platz für Beobachtung und Reflexion geben. Dasselbe Prinzip gilt für das neu überarbeitete Vorbereitungsformular, das nun auch Raum für die Reflexion bietet. Der Feedbackbogen, in dem die AusbildungspädagogIn ihre Eindrücke zur Entwicklung und dem Lernen der PraktikantIn festhält, ist Grundlage für die Nachbesprechung jedes Praxistages und fordert Notizen zur Gesprächs- bzw. Reflexionsbereitschaft ein. In den höheren Klassen sollen und wollen (!) die SchülerInnen lernen, schriftliche Planungs-, Beobachtungs- und Reflexionsarbeiten präzise zu formulieren und lange Texte zu vermeiden.

Der Einladung zu unserer Informationsveranstaltung für AusbildungspädagogInnen am 23.Oktober 2017 folgten über 80 KindergartenpädagogInnen und Früherzieherinnen, was uns enorm gefreut hat. So war es uns möglich, das neue Praxiskonzept den Personen vorzustellen, die mit uns die Verantwortung für eine zeitgemäße praktische Ausbildung tragen.

Den „Reflexions-SkeptikerInnen“ unter uns PädagogInnen möchte ich zum Schluss noch nahelegen, dass Bewegung in den Gedanken durchaus ein spannendes Abenteuer sein kann, denn….

 

Der Beitrag wurde verfasst von:

Brigitte Webhofer MA (Lehrerin für Didaktik, Praxis, Pädagogik an der Kath. BAfEP in Innsbruck)

 

Im folgenden Abschnitt finden Sie eine von vielen Möglichkeiten, die eigene Haltung und die pädagogische Arbeit zu reflektieren bzw. auf Qualität zu überprüfen:

Gerd E. Schäfer (dt. Professor für Pädagogik) spricht von fünf Qualitätsbereichen, die eine professionelle Kindergartenpädagogin bzw. einen professionellen Kindergartenpädagogen ausmachen. Befragen Sie sich selbst dazu….

 

Wahrnehmungsqualität: Habe ich ein Auge für bedeutsame Situationen in meiner Gruppe? Achte ich auf einzelne Kinder, aber auch auf Gruppenprozesse? Oder reagiere ich nur bei pädagogischen „Notfällen“ z.B. wenn zwei streiten? Habe ich das Gespür dafür, interessante Themen der Kinder aufzugreifen und an ihren Ressourcen anzuknüpfen, ohne sie mit meinen Ideen zu überrumpeln?

Ist Beobachtung für mich lediglich ein Verfahren („was müsste das Kind schon können“) oder tatsächlich eine pädagogische Grundhaltung („wie löst das Kind Probleme“)?

 

Reflexionsqualität: Habe ich schon einmal darüber nachgedacht, welche Erfahrungen ich gemacht habe, als ich selbst erzogen wurde? Und inwieweit diese biografischen Erlebnisse in meiner Rolle als Kgpäd. noch immer eine Rolle spielen? Habe ich ein solides Fundament an Gedanken und Theorien in entwicklungspsychologischen, kognitions- und sozialwissenschaftlichen Bereichen, um das, was ich im Kindergarten wahrnehme, auch einordnen zu können? Oder denke ich mir oft: Ich sehe etwas, aber ich weiß nicht, was ich sehe?

 

Handlungsqualität: Befinde ich mich im Kreislauf zwischen Handeln und Reflexion, so dass ich mit der Zeit immer mehr pädagogische Muster verinnerliche, um in der Praxis schnell handeln zu können? Oder beziehe ich mich nur auf Intuition? Biete ich PraktikantInnen viel Gelegenheit für probierendes Handeln und begleite sie dabei aufmerksam (nicht besserwisserisch)?

 

Sachqualität: Ein wichtiger Unterschied zwischen Bildung und Betreuung besteht darin, dass der- oder diejenige, der/die mit den Kindern zusammen ist, etwas kann: Verstehe ich etwas von Dingen, die auch für die Kinder interessant sein könnten? Denke ich über Dinge, die in der Welt geschehen, nach? Habe ich etwas zu bestimmten Kultur- und Lebensbereichen zu sagen?

 

Kommunikative Qualität: Kann ich Beobachtungen, die ich in meiner Gruppe mache, in eine fachliche Sprache verpacken? Kann ich mit verschiedenen Adressaten angemessen kommunizieren und argumentieren z.B. mit Müttern, Vätern? Kann ich Wahrnehmungen auch schriftlich darstellen z.B. Lerngeschichten?

 

Literatur- und Internetquellen:

Gerd E. Schäfer (2011): Was ist frühkindliche Bildung? Kindlicher Anfängergeist in einer Kultur des Lernens. Verlag Juventa.

Ämter der Landesregierungen, Magistrat der Stadt Wien, BM für Unterricht, Kunst und Kultur (Hg.) (2009): Bundesländerübergreifender Bildungsrahmenplan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich. (https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/bildung/bildung/downloads/2017/KB_Allgemeines/bildungsrahmenplan_18698.pdf  – Stand November 2017)

Bundeskanzleramt Rechtsinformationssystem: Gesamte Rechtsvorschrift für Kinderbildungs- und Kinderbetreuungsgesetz. (https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrT&Gesetzesnummer=20000439 – Stand November 2017)