In der Newsletter-Rubrik TATENDRANG werden vor allem aktuelle Projekte der Zusammenarbeit zwischen der BAfEP und den Übungsstätten vorgestellt. Diesmal gewährt uns Ingrid Rieder MA, Sonderkindergartenpädagogin und Lehrerin an unserer BAfEP, Einblick in diese Zusammenarbeit und lädt uns ein, ihren Gedankenspielen zu folgen…..
Warum treffen sich Lehrerinnen und Lehrer aus den unterschiedlichsten Fachbereichen der Pädagogik, Fachdidaktik, der Praxis und des Praxiskindergartens, um sich den Fragen eines neuen Lehrplans für das Fach Praxis zu stellen? Der neue Lehrplan fordert uns alle heraus. Denkräume ermöglichen es, das Wissen und Können von Vielen ins Zentrum zu rücken, denn das, was im neuen Lehrplan beschrieben wird, greift in seiner Vorstellung ins Herzstück gelebter Praxis.
Die Anforderungen an Schülerinnen und Schüler in der ersten Klasse haben es in ihrer Komplexität in sich. So sollte es gelingen, dass die jungen angehenden Pädagoginnen und Pädagogen eine Beziehung zum Kind aufbauen, die Individualität der kindlichen Persönlichkeit wahrnehmen und mit dem Kind wertschätzend interagieren. Zudem sollten sie mit Kindern in Beziehung treten, Gespräche mitgestalten, Spiel- und Lernprozesse hospitieren und kindorientiert begleiten. Daneben sollten sie beginnen Bildungsprozesse zu beobachten, zu beschreiben, die Lernsituationen darin erkennen und ihr pädagogisches Handeln danach ausrichten.
Viel fürs erste. Mit Recht. Wir alle wissen, wie komplex jede einzelne dieser Anforderungen ist und wie viel Wissen, Können und Erfahrung es braucht, um sich diesen Themen auch nur im Ansatz zu nähern. Bleiben und verharren wir in diesem Blick, übersehen wir aber die Chance, die sich dabei auftut. Dieser Lehrplan stellt das Kind und das kindliche Spiel in den Mittelpunkt und eröffnet uns die Möglichkeit sehr früh wichtige Haltungen anzubahnen, zu begleiten und zu reflektieren. Zugleich sind wir aber auch gefordert, uns dem Phänomen Spiel immer wieder neu anzunähern. Bei unserer Schilf (Schulinternen Lehrerfortbildung) haben wir genau das versucht und sind eingetaucht in eine bunte Vielfalt von Bildern, Filmsequenzen, Aussagen von Kindern und theoretischen Inputs. Selbst wieder einmal zu erfahren, wie uns kindliches Spiel berührt, zum Lächeln bringt und uns spüren lässt, dass das Spiel neben all dem Förderaktionismus DIE wichtige Größe im kindlichen Alltag bedeutet, verändert den Blick auf ein Geschehen. Genau dies tut auch Gerald Hüther. In seinem neuesten Buch wird dieser nicht müde, jene Qualitäten des Spiels hervorzuheben, die Spiel zu einem verwoben sein von Menschsein und Spiel macht. Er stellt zudem fest, dass Menschen, würden sie zu spielen aufhören, ihr Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit verloren haben, ebenso ihr Bedürfnis nach Freiheit und Autonomie. Er schließt daraus, dass es dem Menschen eigene Spielbedürfnis in den Gehirnen verankert ist (vgl. Hüther 2016, S. 19ff)
Gute Argumente für uns Pädagoginnen und Pädagogen, einen Alltag über die Beziehung zum Kind zu gestalten, der den Kindern Möglichkeits- und Erfahrungsräume eröffnet und dem Spiel jene Bedeutung zukommen lässt, die ihm gebührt. Gerd E. Schäfer und Angelika von der Beek stehen für eine solche Sichtweise und erweitern diese, indem sie neben den Begrifflichkeiten des Lernens und des sich Bildens im Zusammenhang mit dem Spiel, dem kindlichen Denken einen breiten Raum eröffnen. Sie verweisen darauf, dass Kinder in der frühen Kindheit denken indem sie handeln, indem sie tun und tun indem sie denken. Dabei sind alle Sinnesbereiche und Beziehungen beteiligt, in denen es sich zum Zeitpunkt des Handelns befindet, einschließlich seiner dazugehörigen Gefühle. Durch Spiel und „Ausprobieren“ entsteht ein „verkörpertes Wissen“, das als Grundlagenwissen bzw. als Handlungskonzepte den Kindern als Denkkategorie zur Verfügung steht. Kinder gestalten und verändern und umgestalten Dinge und Szenen, die sie aus ihrem Erfahrungsschatz herleiten. Demzufolge muss man Spielen und Gestalten als ein gestaltendes Denken verstehen, sozusagen als ein Nachdenken mit sinnlichen Mitteln. (vgl. Schäfer/von der Beek 2013, S. 113 ff.)
Was aber für Kinder gilt, könnte doch auch für uns Pädagoginnen und Pädagogen Gültigkeit haben. Was spricht gegen eine Herangehensweise, die uns obige Denkweisen der Kinder ebenso eröffnet. Gerald Hüther und Christoph Quarch brechen nicht nur eine Lanze für das kindliche Spiel sondern wollen auch uns herausfordern, in diesen Möglichkeitsräumen zu denken: „Wenn wir zu spielen aufhören, hören wir auf, das Leben in all seinen Möglichkeiten zu erkunden. Und damit verspielen wir die Potentiale, die in uns stecken. Wer dem Leben nicht spielerisch begegnet, den erstickt es mit seinem Ernst. Das Leben ist kein Spiel, aber wenn wir nicht mehr spielen können, dann können wir auch nicht mehr leben.“ (Hüther, Quarch 2016, S. 17)
Und genau hier an dieser Schnittstelle öffnet sich unser Denkraum an jeden Einzelnen von uns. In der gelebten Praxis erfahren Schülerinnen und Schüler erstmals jene Haltungen im Modell und lernen schrittweise theoretische wie praxis – didaktische Teile miteinander zu verknüpfen. Ohne sie ist eine Verwirklichung einer solchen Aufgabe nicht möglich. Es braucht ein Zusammenwirken einer jeden Profession, ein Einbringen vielfältigster Expertisen und Herangehensweisen.
„Große Veränderungen beginnen im Kopf, umgesetzt werden sie aber von denen, die sich auf den Weg machen. Wir können nicht wissen, was geschieht, wenn immer mehr Menschen den Zauber der spielerischen Entdeckung ihrer eigenen Möglichkeiten wiederentdecken. Aber dass wir dann einander mit etwas mehr Freude und Leichtigkeit begegnen und Liebe und Lebendigkeit in unser Leben wiederkehren, ist gewiss.“ (Hüther, Quarch 2016, S. 209)
Dieser Beitrag wurde verfasst von: Ingrid Rieder MA (Sonderkindergartenpädagogin und Lehrerin an der KBAfEP)
Literaturquellen:
Hüther, Gerald; Quarch, Christoph (2016): Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als funktionieren ist. München: Carl Hanser Verlag.
Schäfer, Gerd E.; von der Beek, Angelika (2013): Didaktik in der frühen Kindheit. Von Reggio lernen und weiterdenken. Weimar, Berlin.