Es ist über zwanzig Jahre her, doch das Gefühl kann ich bis heute nachspüren: Ich hatte die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin gerade absolviert und war als junge Kraft in einem Gemeindekindergarten tätig. Beinah jeden Tag, wenn ich nach getaner Arbeit zur Bushaltestelle ging, winkte mir ein Großvater, der regelmäßig sein Enkelkind in meiner Kindergartengruppe abholte, freundlich und temperamentvoll vom gegenüberliegenden Gehsteig zu und rief „Hallo, Tante!“ Die fröhliche Geste des älteren Herrn ließ andere Passantinnen und Passanten schmunzeln und mich verlegen lächeln. Die Tatsache, dass ich nicht nur die „Kindergartentante“ der mir anvertrauten Kinder, sondern im Zuge dessen auch die „Tante“ der Eltern, Großeltern, ja – eine der „Tanten“ in der Gemeinde war (so wurden wir bei den Betriebsausflügen genannt), vermittelte mir zwar das Gefühl von Vertrautheit, nicht aber unbedingt die Anerkennung in meiner Fachlichkeit nach fünf Jahren intensiver und spezifischer Ausbildung.
Die Begrifflichkeit der „Tante“ ist in den Tiroler Kinderbetreuungseinrichtungen nach wie vor gängig und beruht auf der Akzeptanz oder sogar Erwünschtheit durch das dort tätige pädagogische Personal. Die Kinder übernehmen die institutionalisierte Gepflogenheit und sprechen ihre Kindergartenpädagogin als „Tante“ an. Selten treffe ich in meiner Tätigkeit als Praxislehrerin auf Kindergärten, in denen die Kinder die Pädagoginnen bzw. Pädagogen des Hauses bei ihrem Vornamen nennen und sie dadurch in ihrer Identität wesentlich klarer anerkennen als mit einem allgemeinen „Tante“ oder „Onkel“, der sich mittlerweile ebenso unter das kindergartenpädagogische Volk mischt.
Auf die Kindergartenpädagogin bzw. den Kindergartenpädagogen des Kindes angesprochen antworten Eltern immer wieder, dass sie den Namen der „Tante“ oder des „Onkels“ nicht wüssten, im besten Fall den Vornamen. Ein Berufsstand, der sich in „Tanten“ und „Onkel“ aufteilt, braucht sich über ein geringes gesellschaftliches Ansehen nicht wundern.
Häufig wird damit argumentiert, dass frau und man ja selbst wisse, wieviel ihre bzw. seine Arbeit wert sei und sie oder er die Anrede „Tante“ bzw. „Onkel“ nicht als abwertend betrachte. Sprachphilosophisch betrachtet müssen wir jedoch mit John L. Austin davon ausgehen, dass Sprache nicht nur einen Sachverhalt beschreibt, sondern mit ihr auch eine Handlung vollzogen wird (vgl. Austin 1986 zit. nach Fischer-Lichte 2013, S.37). Zum besseren Verständnis ein Beispiel: Wenn der Standesbeamte Frau und Mann traut, dann geht es nicht nur um das gesprochene Wort innerhalb der Zeremonie, sondern um einen Handlungsvollzug, der sich ab diesem Moment bestimmend auf das Leben der betreffenden Personen auswirkt. Das bedeutet, dass die Berufsbezeichnungen „Tante“ und „Onkel“ immer wieder aufs Neue eine Wirklichkeit hervorbringen, die uns in die Anfänge der Kindergärten im 19.Jahrhundert zurückwirft.
Was daran problematisch ist, zeigt ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung der Kleinkindpädagogik, die von Anfang an um die Konturen eines angemessenen Berufsbildes gerungen hat. Fröbel und Pestalozzi, die Begründer des Kindergartens in Europa, wiesen Mitte des 19. Jahrhunderts darauf hin, „dass die Frauen ihrer natürlichen Pflicht als Frau und Mutter nachzukommen haben“. (Gary 2006, S.41) Diese bis heute meist unhinterfragte biologische Zuschreibung mag ein Grund dafür sein, dass Kinderbetreuung seit Beginn der Kindergartenbewegung hauptsächlich in weiblicher Hand liegt. Fröbel rief 1845 die Frauen in Deutschland auf, „mit sinnigem Gemüte der Kleinen und Kleinsten wie in einem Garten zu warten, denn Frauenleben und Kindheitspflege müssen allgemein wieder geeint werden.“ (Dederichs 1962 zit. nach Gary 2006, S.46) In Dokumenten dieser Zeit taucht bereits die Berufsbezeichnung „Tante“ auf (vgl. ebd., S.49). Von ihr werde „liebevolle Geduld und Milde“ sowie „eine praktische Anstelligkeit gegenüber den Kleinen“ erwartet, „durchwegs Eigenschaften, welche ganz vorzugsweise dem weiblichen Geschlecht gegeben sind.“ (Ministerialerlass in Wien aus dem Jahre 1872 zit. nach Gary 2006, S.84)
In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten veränderten sich die Schwerpunkte in der Kindererziehung je nach politischer und wirtschaftlicher Funktion. „Der Beruf der Kindergärtnerin variierte demnach vom fürsorgerischen und mütterlichen Beruf bis zum pädagogischen Erzieherberuf.“ (Ebd.,S.102) Einen herben Rückschlag erlebte die Etablierung der Kindergartenpädagogik als professionelles Berufsfeld mit der Verfassung im Jahre 1934 und dem Ende der Demokratie in Österreich: Die Gleichstellung der Geschlechter vor dem Gesetz wurde wieder zurückgenommen und der hausfrauliche und mütterliche Ansatz in der weiblichen Bildung forciert (vgl. ebd., S.103). Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurde immer wieder der Ruf nach der Ehelosigkeit für Kindergärtnerinnen laut. Es hieß, Ehe und Beruf lassen sich moralisch, sozial und – so aus Medizinerkreisen – hygienisch nicht vereinbaren (vgl. ebd., S.168). Der Beruf „Tante“ galt nicht als intellektueller Beruf, war doch die Beschäftigung mit Kindern „selbstverständlich und natürlich“. Frauen wurde ein natürlicher Mangel u.a. an Intelligenz, geistiger Produktivität und Stimmstärke unterstellt (vgl. ebd.). Noch vor etwa 50 Jahren galt der Beruf der Kindergärtnerin als eine besonders gute Vorbereitung auf die spätere eigene Familie und es war selbstverständlich, dass die Frau mit der Familiengründung ihren Beruf aufgab.
Warum diese kurze Reise in die Geschichte der Kindergartenpädagogik? Weil Begrifflichkeiten und ihre Entstehung immer im jeweiligen gesellschaftlichen, politischen und historischen Kontext betrachtet werden müssen. Solange sich der Beruf der Kindergartenpädagogin wie in seinen Anfängen in die Liste der fürsorglichen und mütterlichen Tätigkeiten einreiht, werden sich elementarpädagogische Institutionen trotz jüngst gesteigerter Anerkennung der Wichtigkeit früher Bildung nicht als professionelle Bildungseinrichtungen etablieren können. Die Bedeutung der Anrede „Tante“ in Verbindung zur gesellschaftlichen Einschätzung muss deutlich gemacht werden: Die Arbeit im Kindergarten oder in der Kinderkrippe erscheint als etwas, was „jedefrau“ kann, im Sinne einer karitativ geprägten Tätigkeit. Das Pendant dazu sei natürlich ebenso angesprochen: Auch der Kindergartenpädagoge darf nicht als „Onkel“ zum „verwandten“ Freund des Kindes und der Familie werden, sondern emanzipiert sich in Verwendung seines Vor- und Nachnamens zum qualifizierten Entwicklungsbegleiter der ihm anvertrauten Gruppe. Wir können demnach davon ausgehen, dass gesellschaftliche Vorurteile laufend von den Kindergartenpädagoginnen bzw. Kindergartenpädagogen selbst (!) durch die längst überholten Benennungen „Tante“ und „Onkel“ reproduziert werden – und das betrifft das Image des gesamten Berufsstandes!
Der Kontext hat sich gewandelt: Im Laufe seines Bestehens hat sich der Kindergarten geändert und weiterentwickelt, von der ehemaligen „Bewahranstalt“ bis zur gegenwärtigen familienergänzenden und -unterstützenden Erziehungs- und Bildungseinrichtung. Damit haben sich auch die Anforderungen an die Kindergartenpädagoginnen und Kindergartenpädagogen gewandelt, das Aufgabenspektrum wächst stetig: Bildungspläne, Altersmischung, Partizipation von Kindern, Öffnung der Gruppen, Sprachförderung…. Das sind nur einige Stichworte, die einen anspruchsvollen Beruf umreißen. Die Umbrüche sind nicht nur in den Kinderbetreuungseinrichtungen spürbar, sondern auch in den Bildungsanstalten. Bereits Mitte der Achtzigerjahre wurden im Zuge der Umgestaltung der Ausbildung die „Bildungsanstalten für Kindergärtnerinnen“ in „Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik“ umbenannt (vgl. Gary 2006, S.11). Die Bezeichnung signalisiert bis heute, dass Kindererziehung Frauen- und Männersache ist und sorgt dafür, dass in den letzten Jahrzehnten zumindest formal die Berufsbezeichnung der Kindergärtnerin und des Kindergärtners weitgehend vom Begriff der Kindergartenpädagogin bzw. des Kindergartenpädagogen abgelöst wurde. Es darf gefragt werden, ob die Absolventinnen und Absolventen nach fünfjähriger kontinuierlich weiterentwickelter Ausbildung (auf die aktuellen Meilensteine wie z.B. den neuen Lehrplan wurde im letzten Newsletter eingegangen) und Ablegung der Reife- und Diplomprüfung tatsächlich als „Tanten“ und „Onkel“ hervorgehen sollen.
Ziel der Ausbildung in den BAKIPs und Praxisstellen muss es auch sein, die angehenden Pädagoginnen und Pädagogen zu befähigen, sich aktiv an der Verbesserung des Images des Berufsstandes zu beteiligen. Eine starke berufliche Identität entwickelt sich nicht aus einem Berufsbild, das nach wie vor auf Fröbels ursprünglicher Idee des Kindergartens „als eine Art organischer Familienerweiterung“ beruht (Hering, Schröer 2008, S.77) und der Öffentlichkeit vermittelt, jede und jeder, der Kinder mag, könne diesem Beruf nachgehen. Die Bezeichnung als „Tante“ oder „Onkel“ arbeitet gegen ein professionelles berufliches Selbstverständnis und Image, das dem Beruf der Kindergartenpädagogin und des Kindergartenpädagogen in Anbetracht der hohen Anforderungen an das fachliche Wissen und Können längst zusteht.
Der Beitrag wurde verfasst von:
Brigitte Webhofer MA:
Lehrerin für Didaktik u. Praxis an der Kath. BAKIP
Auf der Homepage eines Gemeindekindergartens in der Steiermark zu finden…..
Tante?! Nein, danke!
Wir haben eine große Bitte:
Machen Sie´s nicht nach alter Sitte.
Betiteln Sie uns nicht mit „Tante“,
wir sind ja schließlich nicht Verwandte.Stattdessen tut´s der Vorname auch,
das wär´ doch ein netter Brauch.
Auch bei den Kindern legen wir darauf Wert,
denn der Titel „Tante“ ist längst verjährt.Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis,
wir danken herzlich für Ihr Verständnis!
http://www.unterpremstaetten.at/cms/index.php/oeffentliche-einrichtungen/kindergarten.html
Literaturquellen und zum Weiterlesen:
Baltruschat, Christa (1986): Zur Geschichte der Ausbildung von Kindergärtnerinnen in Österreich. Pädagogischer Verlag Eugen Ketterl.
Fischer-Lichte, Erika (2013): Performativität. Eine Einführung. 2.Auflage. Bielefeld: transcript.
Gary, Gisela (2006): Wir sind keine Tanten! Die Kindergärtnerin: Zur Geschichte eines Frauenberufs in Österreich. Strasshof-Wien-Bad Aibling: Vier-Wiertel-Verlag.
Hering, Sabine; Schröer, Wolfgang (Hg.) (2008): Sorge um die Kinder. Beiträge zur Geschichte von Kindheit, Kindergarten und Kinderfürsorge. Weinheim und München: Verlag Juventa.